Yassir Eric ist Leiter des europäischen Instituts für Migration, Integration und Islamthemen (EIMI) in Korntal und stieg mit seiner eigenen Lebensgeschichte in den Vortragsabend ein: Der Referent wuchs in einem Dorf im Nordsudan auf. Seine Familie gehört bereits seit 1952 der dortigen Regierung an. Bereits mit acht Jahren wurde er von seinen Eltern in eine 1.200 km entfernte Koranschule gesendet, von der er zwei Jahre später wieder in seine Familie zurückkehren durfte. In dieser Zeit, so berichtete Eric, wurde seine Identität als Moslem geprägt. Er lernte den Koran auswendig. Neben vielen anderen Dingen wurde ihm auch vermittelt, dass die Gemeinschaft der Muslime (Umma) wie eine „Mutter“ sei, der gegenüber man sich loyal zu verhalten habe. Ihm wurde beigebracht, dass ein Leben ohne Glaube und Gemeinschaft sinnlos sei. So entwickelte er sich zu einem fanatischen Moslem, der Andersgläubige – insbesondere Christen und Juden – zu hassen begann.
1990 begegnete er in seiner Heimat jedoch Menschen christlichen Glaubens, die ihm von der Liebe Gottes zu ihm erzählten. Dies veränderte sein Leben von Grund auf: Er konvertierte zum christlichen Glauben. Seine Familie erklärte ihn infolgedessen für buchstäblich tot: Es wurde eine Beerdigung abgehalten und ausschließlich die Eltern des Referenten wussten um den leeren Sarg. 1995 saß er aufgrund seines Glaubens im Gefängnis. Nach seiner Entlassung verließ er das Land und kam über Umwege nach Deutschland.
Auf die Frage, wo er kulturell zuhause sei und wo er sich beheimatet fühle, nannte Eric kein bestimmtes Land. Bedingt dadurch, dass sein Vater als Botschafter arbeitete, lebte er schon als Kind in vielen unterschiedlichen Ländern, unter anderem in Ägypten und Kenia. Aus diesem Grund sei sein Zuhause immer dort, wo sich seine Familie, seine Frau, seine Kinder und Freunde befänden. Yassir Eric spricht mehrere Sprachen, unter anderem Deutsch, Arabisch, Englisch, Spanisch, Französisch und ein bisschen Schwäbisch – wie er augenzwinkernd hervorhob, da er mit einer Schwäbin verheiratet ist.
Aus diesem bewegten Leben, seinem reichen Erfahrungsschatz und seinen profunden Islamkenntnissen heraus beleuchtete er daraufhin das Thema Integration von verschiedenen Seiten.
Der Referent betonte dabei immer wieder die Bedeutung von persönlichen Begegnungen zwischen Menschen. Yassir Eric wörtlich: „Begegnung ist die einzige Lösung, bei allem was wir tun“. Flüchtlinge haben nicht ihr Land verlassen, weil ihnen „langweilig“ gewesen sei. Sie sind vor Krieg und Terrorismus geflohen, der in ihrem jeweiligen Heimatland herrscht. Das Opfer der Terrorgruppe Islamischer Staat sind die Muslime selbst, so Eric.
Seiner Erfahrung nach bedeutet es in Deutschland zu leben leider nicht zwangsläufig, auch „westlich“ zu werden, sich zu integrieren und die Demokratie zu unterstützen. Viele Muslime entwickeln sich eher zu noch fanatischeren Personen, wie er bedauerlicherweise an Bekannten beobachten musste. Er stellte daher die Frage in den Raum, warum dies so sei. Seine Antwort: Die westliche Weltanschauung betrachtet die Religion als einen mehr oder weniger bedeutsamen Teil des Lebens. Der Islam dagegen sieht die Religion als das Leben selbst. Muslime leben kollektiv, für sie spielt Glaube und Gemeinschaft eine sehr zentrale Rolle. Sie wollen Menschen treffen, bei denen dies ebenso der Fall ist. Deshalb ist es von großer Bedeutung, so Eric, Brücken der Begegnung zu bauen, denn einen ideologischen Krieg könne man nicht mit Waffengewalt führen.
Im darauffolgenden Teil des Vortrags betonte der Referent drei grundsätzliche Herausforderungen des Islams. Zum einen die theologische Seite: Dieser Herausforderung können gläubige Christen nach Ansicht des Referenten begegnen, indem man sich selbst in der Bibel auskennt und das, was Christen glauben, auch benennen kann. Niemand müsse sich dazu im Koran auskennen. Wichtig sei aber, als Christ Meinungs- und Standpunkte fundiert vertreten zu können.
Als zweite Herausforderung nannte er die politische Seite: Er betonte, dass das Bauen von Brücken wichtig sei, dies jedoch nicht zu einer falschen Toleranz werden dürfe, die im schlimmsten Fall Gewalt, die Missachtung der Frau, Antisemitismus, etc. toleriert. Deutschland solle nach Ansicht des Referenten wieder seine Identität entdeckten und zu verbindlichen Werten stehen – besonders im Hinblick auf das Grundgesetz. Seiner Einschätzung nach stecke Deutschland in einer Identitätskrise, die es dem Islam leichtmache, „das Ruder zu übernehmen“. Viele Muslime würden noch nicht wissen, was Deutschland ausmache und geprägt habe. Ihnen sei jedoch wichtig zu erfahren, wie wir gesellschaftlich mit Wahrheit und Respekt umgehen und was Demokratie und Religionsfreiheit tatsächlich bedeuten. Um dies vermitteln zu können, brauche es Menschen mit Prinzipien.
Die dritte Herausforderung sieht Eric in der wenig familienfreundlichen Politik Deutschlands. Muslime betrachten sich als sehr familien- und kinderfreundlich, so Eric.
Der Referent führte weiter aus, dass Integration nicht Assimilation bedeute. Doch dürfe sich das Leben von Migranten auch nicht in Parallelgesellschaften abspielen – ohne das Erlernen einer Landessprache, das Verstehen und Einhalten von geltenden Werten und Normen eines Landes, etc.
Integration bedeute nach Ansicht des Referenten vielmehr: „Jemand muss mir meine Rechte und Pflichten beibringen, die ich in diesem Land habe“. Das bedeute: Alles, was gut und positiv ist, darf beibehalten werden, ebenso alles was in der jeweils anderen Kultur wertneutral ist. Alle Verhaltensweisen und Anschauungen, die sich destruktiv auf unsere Gesellschaft auswirken, sollten nicht toleriert werden. Nach Yassir Eric ist Kultur „eine Strategie zur Daseinsbewältigung“. Deshalb sei es so bedeutsam und wertvoll, wenn Bürger Verantwortung übernehmen und Migranten zeigen, welche persönliche Strategie das Handeln in dieser Hinsicht prägt. Aus diesem Grund legte der Referent einen großen Schwerpunkt auf die persönliche Beziehung und das Gespräch mit Migranten. Die schaffe Begegnungen, die Brücken bauen.
Sein Fazit: „Jeder Mensch ist einzigartig. Im Umgang mit Menschen gibt es keine fertigen Konzepte.“
Text: Sr. Ruth Lederhofer